Mittwoch, 24. Februar 2010
Frau Käßmann und die Schuld
Sünde und Schuld seien keine Kategorien mehr, klagte vor kurzem der Spiegel-Redakteur Matthias Matussek. Die Reaktionen auf die Trunkenheitsfahrt der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann scheinen diese These zu bestätigen. Nachdem die "Bischöfin" mit 1,54 Promille am Steuer eine rote Ampel überfahren hatte, meinte der ehemalige bayerische Ministerpräsident Beckstein, mit einem verkniffenen Seitenblick auf die katholischen Würdenträger, in der evangelischen Kirche sei ein Bischof kein Heiliger. Er bzw. sie wäre kein(e) "Säulenheilige(r)", unkte ein anderer evangelischer Funktionär, ganz anders als die katholischen Bischöfe, die ihre Heiligkeit wie eine Monstranz vor sich hertrügen. Frau Käßmann sei schlicht "menschlicher" und spreche den Menschen aus der Seele, wenn sie zum Beispiel den Afghanistaneinsatz kritisiert.
Spricht sie ihnen aus der christlichen Seele oder eher nach dem politischen Mund? Die Orthodoxie, die den Kontakt mit ihr abbrach, ist letzterer Meinung. Frau Käßmanns Positionen seien die einer politisch korrekt gewendeten EKD, die sich auf weite Strecken nicht mehr mit der Heiligen Schrift rechtfertigen lassen. Dafür wurde sie gewählt, auch für eine Moralauffassung, die Verfehlungen nicht als Problem sieht, als Sünde, sondern als "Fehler" entschuldigt, die halt eben zum Menschsein gehören. Daß dieser Fehler - wenn ich die Ampel bei Rot betrunken überfahre - einen Menschen das Leben kosten kann, daß die verschwommenen Moralvorstellungen - siehe die Stichtagsverschiebung, die die EKD mitgetragen hat - Menschen tatsächlich und tagtäglich das Leben kosten, steht nicht zur Debatte. Wer solches anmahnt, sieht sich als moralinsaurer Säulenheiliger an den Pranger gestellt.
Man kann durchaus auch mit zwei Maß Bier noch Auto fahren, wie Beckstein einst meinte. Aber sollte man es auch tun? Ein verantwortungsbewußter Christ, ob evangelisch oder katholisch, bedenkt die Folgen seiner Handlungen für sich und seine Umwelt. Wenn er dies konsequent tut, im Bewußtsein der Gnade Gottes, ist er auf dem Weg zur Heiligkeit, zu dem wir alle berufen sind. Wer es nicht tut, und sich das auch noch als Vorzug anrechnen läßt, lebt nicht das, was er/sie zu leben vorgibt. Für eine gewählte evangelische Funktionärin, die gerade das rechte Leben nach dem Evangelium für sich in Anspruch nimmt, ist das im Grunde eine Bankrotterklärung. Aber nicht erst die Orthodoxie hat erkannt, daß im deutschen Protestantismus, soweit er nicht evangelikal ist, schon lange Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen.
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