Freitag, 19. Februar 2010

Der furor anticatholicus teutonicus


Als der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger Papst wurde, überschlugen sich seine Landsleute vor Begeisterung. "Wir sind Papst", titelte die Zeitung mit den großen Buchstaben. Heute schreibt sie ganz anders, wie immer am Puls der Zeit und des Volkes, wie immer unüberbietbar knapp und polemisch. Von "Sexpriestern" ist die Rede wie sonst von der "Russen-Mafia", eine weitere genialische Wortschöpfung aus dem Hause Diekmann. Eben jener konnte noch vor kurzem seitenweise über den Niedergang Deutschlands, seiner Werte und seiner politischen Kultur philosophieren, um wenig später schon in das gleiche Horn zu stoßen wie das berühmt-berüchtigte Hamburger Nachrichtenmagazin.

Daß dieses mit Pauschalurteilen ebenso schnell zur Hand ist, vor allem wenn es um die katholische Kirche geht, ist hinlänglich bekannt. Auf dem Titelbild einer seiner jüngeren Ausgaben prangt denn auch ein Prälat im Talar. In der einen Hand hält er ein Gebetbuch, die andere schiebt sich unterhalb der Gürtellinie in das geistliche Gewand. "Die Andeutungshaftigkeit dieser Ikonographie ist überwältigender und emotionalisierender als jede sachliche Illustration der jetzt in Frage stehenden konkreten Fälle des Missbrauchs", schreibt die "Tagespost". Will heißen, durch eine derart plakative Darstellung verhänge ich den Generalverdacht über einen ganzen Berufsstand, obwohl solches sich in unserem Rechtsstaat eigentlich verbieten sollte.

Man stelle sich nur vor, das Magazin hätte statt des Prälaten einen schwerbewaffneten Taliban abgebildet und ebenfalls "die Scheinheiligen" darübergeschrieben, und statt des Untertitels "Die katholische Kirche und der Sex" - "Der Islam und die Friedfertigkeit". In Hamburg müßte man daraufhin wahrscheinlich die Schotten dichtmachen. In jeder Großorganisation gibt es Kriminelle, Betrüger, Verbrecher, auch und nicht zuletzt in jener Großorganisation, die sich Gesellschaft nennt. Und auch die Kirche ist Teil dieser Gesellschaft und kann sich deren Einflüssen nicht entziehen, will es auch oft gar nicht, wie die Entwicklung der letzten vierzig Jahre zeigt.

Eben darauf wollte der momentan vielgescholtene Bischof von Augsburg hinweisen. Darf eine Gesellschaft, in der tagtäglich schreckliche Verbrechen, gerade im Familienkreis passieren, mit dem Finger auf eine Organisation zeigen, in der das auch, aber in wesentlich geringerem Ausmaß passiert? Ohne die Kirche zu exkulpieren, versucht sich da nicht jemand zu exkulpieren, der selbst in sich gehen sollte?

Die immer dann aus der Versenkung hervorgeholte Frau Ranke-Heinemann, wenn die Hamburger mal wieder einen intellektuell-theologischen Tiefschlag brauchen, meinte ganz in diesem Sinne, der Augsburger Bischof reagiere nach dem Grundsatz "Hauptsache, jemand anders ist verantwortlich." Boulevard und Magazinjournalismus handeln dieser Tage eben nach dem Grundsatz, im Zweifel ist die Kirche schuld, mit ihren verstaubten Moralvorstellungen, mit ihrem theologischen Hokuspokus ist sie der Nährboden allen Übels.

Der Papst hat die irischen Bischöfe nach Rom zitiert, Bischöfe wurden zum Rücktritt gezwungen, eine unabhängige Fachfrau wurde mit der Aufklärung der Mißbrauchsfälle beauftragt und nicht zuletzt hat der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs für Aufklärung gesorgt. Es fragt sich, wer hier wirklich zur Selbstkritik und zum "Ausmisten des eigenen Stalls" unfähig ist.

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