Freitag, 15. Januar 2010

Goethe in Italien und die Schönheit der Liturgie


Man weiß, daß der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Zeit seines Lebens Deist, Pantheist, ja Polytheist war, antiklerikal und erklärtermaßen antikatholisch. Als er heimlich aus Weimar floh und sich auf seine lange, leidenschaftlich ersehnte Reise nach Italien machte (1786-88), zogen ihn vor allem die Monumente und Ruinen der griechisch-römischen Antike an, weniger das religiöse Leben des italienischen Volkes, das sich in den Renaissance- und Barockkirchen, in der Liturgie abspielte, die dort gefeiert wurde.

Dennoch rührte ihn die Schönheit der Riten der Settimana Santa an, die jene Rüstung aus Ironie und Indifferenz durchdrang, mit der er in der Peterskirche in Rom den Zeremonien beiwohnte, die damals Papst Pius VI. vollzog.

Als Goethe sich drei Jahrzehnte später, im Jahr 1829, entschloß, seine Briefe, Kommentare und Tagebuchaufzeichnungen unter dem Titel "Italienische Reise" zu veröffentlichen, hinterließ er eine charakteristische Bemerkung unter dem Datum des 22. März 1788. Nachdem er in Italien die katholische Liturgie zumindest miterlebt hatte, sollte sich seine Idee des "Schönen" - die bis dahin allein das Konzept Winkelmanns geprägt hatte - in eine unerwartete Richtung entfalten und bereichern:

"Die Kapellmusik ist undenkbar schön. Besonders das »Miserere« von Allegri und die sogenannten »Improperien«, die Vorwürfe, welche der gekreuzigte Gott seinem Volke macht. Sie werden Karfreitags frühe gesungen. Der Augenblick, wenn der aller seiner Pracht entkleidete Papst vom Thron steigt, um das Kreuz anzubeten, und alles übrige an seiner Stelle bleibt, jedermann still ist, und das Chor anfängt: "Populus meus, quid feci tibi?", ist eine der schönsten unter allen merkwürdigen Funktionen.(...) Ich habe nach meinem Wunsch alles, was an den Funktionen genießbar war, genossen und über das übrige meine stillen Betrachtungen angestellt. Effekt, wie man zu sagen pflegt, hat nichts auf mich gemacht, nichts hat mir eigentlich imponiert, aber bewundert hab' ich alles, denn das muß man ihnen nachsagen, daß sie die christlichen Überlieferungen vollkommen durchgearbeitet haben. Bei den päpstlichen Funktionen, besonders in der Sixtinischen Kapelle, geschieht alles, was am katholischen Gottesdienste sonst unerfreulich erscheint, mit großem Geschmack und vollkommner Würde. Es kann aber nur da geschehen, wo seit Jahrhunderten alle Künste zu Gebote standen."

Bemerkenswerterweise hatte sich zwölf Jahre vor Goethes Rom-Aufenthalt, im Jahr 1770, der vierzähnjährige Wolfgang Amadeus Mozart vollkommen in das selbe Miserere von Allegri verliebt. Da man im Vatikan fürchtete, das wunderbare Werk könne in falsche Hände geraten, hütete man es lange in den Archiven der Sixtina. Das Wunderkind Mozart soll jedoch das Werk Allegris - das immerhin für neun Stimmen gesetzt war - nach nur zweimaligem Hören vollständig rekonstruiert haben!

Das Miserere von Gregorio Allegri und die Improperien, die Goethe erwähnt, findet man z.B. unter:
http://www.youtube.com/watch?v=x71jgMx0Mxc
http://www.youtube.com/watch?v=NMawifNdBN0&feature=related

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen