Dienstag, 12. Januar 2010

Der selige Johannes XXIII. und das Tagebuch


Der selige Johannes XXIII. führte bereits als Seminarist mit Namen Angelo Roncalli im Priesterseminar von Bergamo Tagebuch. Dieser Übung blieb er bis in seine letzten Tage treu: als Bischofssekretär, als Professor, als Militärkaplan und schließlich auch als Papst in den Jahren 1958 bis 1963. So hinterließ er Berge von Tagebüchern, Briefen und Notizen, und überließ es seinem Sekretär Loris Capovilla über eine eventuelle Veröffentlichung zu entscheiden.

Seit vergangenem Jahr liegen zehn gewichtige Bände mit den Tagebüchern des Papstes vor, der im Oktober 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete. Da Roncalli unter anderem auch in Südosteuropa unterwegs war, als Nuntius in Paris wirkte, wimmeln seine Tagebücher von einer Unzahl von Personennamen, die es bis nach Bulgarien und in die Türkei zu identifizieren galt.

Für Roncalli war die Kirche kein Instrument zur Selbstinszenierung, sondern eine objektive Grösse, nach deren Vorgaben er den Fortschritt im geistlichen Leben erstrebte. Theologische Spekulation und das Bedürfnis, über den letzten Stand der exegetischen Forschung auf dem Laufenden zu sein, waren ihm fremd. Dagegen eignete ihm ein kompaktes Kirchenbild, verwurzelt in den zwei Testamenten, den Psalmen des Breviers, den Kirchenvätern und den Biographien der Heiligen. Roncalli lebte mit dem unreformierten Heiligen-Kalender, der eine unerschöpfliche Quelle für die unzähligen improvisierten Ansprachen war, die von ihm erwartet wurden. Dabei war er sich durchaus bewußt, zu welchen Ab- und Ausschweifungen die Gottesgabe der freien Rede führen kann.

So unakademisch katholisch er war, so klar bekannte er seinen Glauben in der Welt. Er war ausreichend geerdet, um in den Umbrüchen seiner Zeit standfest und zugleich lernfähig zu bleiben. So verweigerte er eine kleine Auszeichnung, welche die italienische Regierung ihm 1917 als Sanitätssoldaten zugedacht hatte. Vom liberalen und kirchenfeindlichen italienischen Staat nehme er keine Medaille entgegen, auch wenn er für den Sieg Italiens bete.

In seinen Urteilen über Menschen war Roncalli zurückhaltend. Auch im Blick auf den Vorwurf des theologischen Modernismus, dem er in seinen jungen Jahren während seiner Lehrtätigkeit ausgesetzt war, blieb ihm die Märtyrerpose fremd.

Gültig bleibt jedoch, was der reformierte Berner Kirchenhistoriker Andreas Lindt über ihn schrieb: "Faszination und Geschichtsmäßigkeit beruhen in der eigenartigen Verbindung tief empfundener und streng gelebter kirchlicher Tradition mit dem Gespür für die Herausforderungen einer neuen Zeit und der kühnen Bereitschaft, Neues zu wagen und in Angriff zu nehmen."

Zuletzt erschienene Bände der Edizione Nazionale dei Diari di Angelo Giuseppe Roncalli / Giovanni XXIII.: Vol. 2: La mia vita in Oriente. Ist. Scienze Religiose, Bologna 2008. € 50.–. Vol. 5/2: Anni di Francia. Agende del Nunzio. 1949–1953. Ebd. 2007. 750 S., € 50.–. Vol. 6/2: Pace e vangelo. Agende del patriarca. 1953–1955 und 1956–1958. Ebd. 2008. 800 S. und 750 S., je € 50.–.

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