Montag, 1. März 2010

Der dunkle Schatten Roms


Der Kulturkolumnist der Süddeutschen Zeitung und diverser anderer renommierter Printmedien, Alexander Kissler, der sich unter anderem ausführlich mit der verblödenden Wirkung des Fernsehens beschäftigt hat, meinte vor kurzem, das ZDF sei entbehrlich, denn sein Informations- und Unterhaltungswert tendiere gegen Null. Das verwundert nicht weiter, haben sich doch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nicht erst gestern in den allgemeinen Nivellierungs-Wettbewerb nach unten gestürzt - siehe den Techno-Hype um das neue heute-Studio, dem kein Content-Hype gegenübersteht. Die Gebührenmillionen kommen nicht mehr dem eigentlichen Zweck zu, für den die öffentlich-rechtlichen Sender geschaffen wurden - der seriösen Information und anspruchsvollen Unterhaltung.

Auf dem "Ereignis- und Dokumentationskanal der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten" (Phoenix) lief gestern abend eine "Dokumentation" mit dem sprechenden Titel "Index - die schwarze Liste des Vatikan". Unser Fernsehonkel vom Dienst, Wolf von Lojewski, der einst das "heute journal" mit der "Sendung mit der Maus" kreuzte, stellte darin ebenso aufgekratzt-naiv dem Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf Fragen zum Index der verbotenen Bücher, die dieser mit rollenden Augen und aufgeregt-theatralischer Geste beantwortete. Von "Beantworten" kann jedoch keine Rede sein, denn die Antworten lagen schon in Lojewskis Fragen.

Der Zuschauer weiß schon vorher, daß die Kirche den Dichter Heinrich Heine nur deshalb als Finsterling verfolgen ließ, weil er für Gedankenfreiheit und Demokratie eintrat. Wenn Lojewski den Index herauszieht, in dem eigentlich der Name Marx und dessen "Kapital" verzeichnet sein sollten, ahnt man/frau schon, daß die dort nicht stehen werden, und auch der Chef der braunen Mordbanden mit seinem "literarischen Machwerk" ist dort nicht zu finden, wundert sich Lojewski und schüttelt die schütteren Locken. Warum das so ist, erschließt sich auch sofort, da die römische Kirche zwar die beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verurteilte (siehe "Mit brennender Sorge"), aber doch den einen eher gewähren ließ als den anderen - siehe den "umstrittenen" Papst Pius XII. und dessen "Schweigen", das zwar hundertfach widerlegt ist, aber sich genauso zäh hält wie die Mär von der Wissenschaftsfeindschaft der Kirche im Fall Galilei.

Informativ wäre die Sendung gewesen, wenn sie nicht Stereotypen bediente, sondern erklären würde. Zum Beispiel, daß die Kirche zuerst nach dem Gesetz des Seelenheils funktioniert. Die Kirche setzte Heine eben nicht auf den Index, weil sie dessen Glauben an die Republik nicht teilte - von der Sorte gab es genug Literaten, die nicht auf dem Index landeten -, sondern weil er vom Beichtsakrament bis zur Messe das Sanctissimum des Katholischen seinem wohlfeilen Spott preigab. Die Machwerke der Massenverführer aus Trier und Braunau sind im Index nicht zu finden, weil Rom sehr gut wußte, daß man einer totalitären Massenbewegung nicht mit Leseverboten beikommt. Aus den Dokumenten sei die Frage, warum Marx und Hitler nicht auf dem Index stünden, nicht zu beantworten, meinte Professor Wolf, denn die Dokumente zum Dritten Reich seien "noch nicht freigegeben", wobei er unterschlug, daß Rom umfangreiche Dokumentensammlungen zu den 1930er und 40er Jahren schon lange publiziert hat.

Dies und anderes interessierte nicht. Rom und sein "Geheimarchiv" und seine Glaubenskongregation erschienen von fataler Dunkelheit umhüllt, in der Geistes- und Fortschrittsfeindschaft gediehen, untermalt von unheildrohender Musik und bevölkert von Soutanenträgern mit verkniffenen Gesichtern. Hier fehlten nur noch Frau Ranke-Heinemann und der "Startheologe" aus der Schweiz, Hans Küng, der sich zum tausendsten Mal darüber beklagen durfte, daß der nach dem zweiten Vatikanum abgeschafften Indexkongregation irgendwann der Geduldsfaden gerissen war - angesichts eines Theologen, der merkte, daß er mit kirchenkritischer Theologie mehr verdient als mit kirchentreuer. Kein anderes Motiv steht hinter der raunenden Index-Schmonzette der Herren von ZDF und Phoenix, die den Zuschauer nicht klüger macht. Also, besser abschalten und Karlheinz Deschner, Hochhuth oder Dawkins lesen - die sind wenigstens unterhaltsam.

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