Montag, 17. Mai 2010

Der Ichling von Oberammergau


Der katholische Zeitkritiker Erik von Kuehnelt-Leddihn prägte zwei sehr eigene Begriffe, um die Mailaise der Modernen auf den Begriff zu bringen - die "Ichlinge", die ihre begrenzte Weltsicht zum Maßstab machen, und die "Ibkas" - "Ich bin katholisch, aber..."

Diese Begriffe können einem in den Sinn kommen, wenn man das derzeitige Treiben im schönen Oberammergau verfolgt. Die Vorväter der heutigen Darsteller leitete noch das Gelübde, das man vor dem Herrgott abgelegt hatte, nicht die Selbstverliebtheit eines Münchner Volkstheater-Regisseurs. Das Gelübde sei nur "historischer Background", ein "netter Glaube", eine "schöne Geschichte", die heute keiner mehr nachvollziehen könne. Diese Geschichte, das Passionsspiel, werde nur weiterbestehen, meinte Stückl, "wenn wir uns darum immer wieder raufen", "wenn wir versuchen, [es] neu zu erzählen".

So spricht der Herr des modernen Regietheaters auch, wenn er Lessing, Kleist oder Kroetz inszeniert. Ein Passionsspiel verlangt aber mehr, möchte man meinen. Stückl wehrt sich dagegen, Jesus auf den Leidenden zu reduzieren - "Man darf Jesus nicht reduzieren." Stückls Rede von "Jesus" ist schon Reduktion, weil sie den Christius ausblendet, den Auferstandenen, der, der uns von Sünde und Tod erlöst hat. In Stückls Passions-Inszenierung ist auch mehr vom "menschlichen Umdenken", zu der Jesus aufgefordert hätte, von den "Ideen" die Rede, die Jesus, so Stückls Meinung, ans Kreuz gebracht hätten. Die Opfertheologie, die Grundlage der Erlösung ist - Christus starb stellvertretend für unsere Sünden am Kreuz - beseitigt Stückl mit einem Federstrich: "Ich glaube nicht an einen Jesus, den der liebe Gott - das lieb sei schon in Frage gestellt - auf die Erde schickt, damit er geschlachtet werden kann - und durch dieses Schlachtopfer soll dann die Menschheit befreit sein."

Mit wenigen Worten schiebt Stückl alles beiseite, was das Gelübde der Oberammergauer vor mehr als dreihundert Jahren ausmachte, was Kern der Passionstheologie und Dogma der Kirche ist. Und der offiziell für die Passionsspiele bestallte Theologe und auch der Münchner Erzbischof nicken dazu. Der eigentliche, der historische Jesus sei der Wesentliche, erklärt Stückl. Er könne nur den Menschen darstellen, alles andere, der Verweis auf das Göttliche sei einfach nur Behauptung, reine katholische Eitelkeit, die sich gegenüber anderen schon auf der sicheren Seite wüßte.

Das hat mit Aktualisierung, mit Neubelebung des Gelübdes, wie der emeritierte Pastoraltheologe und Berater der Passionsspiele, Ludwig Mödl, meint, nichts mehr zu tun. Das ist auch keine Neuerfindung mehr, das ist offene Verfälschung, die die alten, lebten sie denn noch, als solche erkennen würden, und gegen die sich stellenweise auch heute Widerstand unter den Oberammergauern regt. Aber was vermag solcher Protest gegen das feministische Gerede Stückls von den starken Frauen, die mehr Mut bewiesen hätten als die Männer? Der zeitgeistige Ehrgeiz wird nachgerade lächerlich, wenn eine Frau Pilatus die Geißel aus der Hand reißen und sagen darf, er solle aufhören. Stückl findet das "total gut". Auch daß die Dan-Brown-Mär von der Liebesbeziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena spielerisch angedeutet wird, oder daß eine verheiratete Frau heute die Muttergottes spielen darf.

1990, als das erstmals geschah, hätten gerade die Frauen am meisten geschimpft, was Stückl befremdet hätte. Für diese Frauen war damals das Passionspiel noch Ausdruck des Gelübdes, kein reines Theater. Es war die Anstrengung eines ganzen Dorfes, das Opfer Christi am Kreuz so weit wie irdisch möglich nachzuvollziehen, um sich damit das Wohlgefallen Gottes zu erwerben. Heute ist es tatsächlich, wie Stückl meinte, ein "soziales Event" geworden. Dazu passt auch, daß vor der Premiere ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert wurde statt einer heiligen Messe, in der das, was auf der Bühne später gezeigt wird, tatsächlich, wenn auch in unblutiger Weise stattfindet. Unter Stückl ist das Spiel immer mehr reines Theater geworden, womit Kritik an theologischen Irrwegen, populistischem Feminismus oder Muslimen, Protestanten und aus der Kirche Ausgetretenen, die am Spiel mitwirken, obsolet geworden ist - so obsolet wie das Gelübde.

3 Kommentare:

  1. Ob man unter nicht verheirateten Frauen zwingend auch jungfräuliche findet?

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  2. Bemerkenswert. Zwei Dinge beobachte ich (selber autochthoner Bayer mit starkem Bezug zum Ammertal) am Übergang vom Gelübde zum Event mit grausiger Faszination:

    1) Die Parallele vom Übergang von echter Volksmusik zur volkstümlichen Zombie-Industrie.
    2) Der Abfall vom katholischen Glauben als sozialer Zusammenhalt, moralischer Maßstab, dörfliches Band. Oberammergau verliert oberflächlich gesehen zumindest seine Identität, oder ersetzt sie zumindest durch Surrogate und Peinlichkeiten.

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  3. "Man darf Jesus nicht reduzieren."...das passiert aber eben doch, wenn man seine Lehre verdunsten und einköcheln lässt...
    Gruß

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