Donnerstag, 20. März 2014

Lewitscharoff und der offene Diskurs


Papst Benedikt XVI. sprach von einer Diktatur des Relativismus. Er hatte recht, auch und gerade in seiner Wortwahl. Anfragen an die Moderne werden nicht mehr mit Erklärungen erwidert, sondern mit Verdammungsurteilen. Wer früher die Kirche als die große Verdammerin verurteilt hatte, müßte sich den Übeltäter heute dort suchen, wo man einst ganz natürlich den Hüter der Freiheit erwartet hatte. Das ist das Paradox der ungezügelten Vernunft, die der letzte Papst kritisiert hatte, und dafür schärfste Widerworte erhalten hatte, die tief blicken ließen.

Genauso wie die Widerworte, die sich die Literatin Sybille Lewitscharoff in den letzten Tagen gefallen lassen mußte. Oft genug hatte man den starken Verdacht, daß der Kritiker oder die Kritikerin überhaupt nicht gelesen hat, was die mit Preisen überhäufte Literatin in ihrer Rede wirklich gesagt hat. Sprachlos machen auch die Forderungen aus dem Munde der Freiheitsfreunde, Lewitscharoff aus dem Kreis derer zu verbannen, die sich noch literarisch äußern dürfen. Man weigert sich zu lesen, man will nicht verstehen, man erteilt Bannflüche, auf der Grundlage einiger aus dem Zusammenhang gerissener Sätze. Wenn das nicht die Kapitulation freiheitlicher Kultur ist, wenn das nicht die Indizien einer sich verfestigenden Meinungsdiktatur sind, dann fragt man sich, was dazu noch fehlt.

Die Schrifstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff, die bisher mit einer Reihe großartiger Romane hervorgetreten war, hatte in Dresden ihre Kritik an der Reproduktionsmedizin gäußert. Die Rede war über weite Strecken eindeutig literarisch angelegt. Doch die veröffentlichte Meinung nahm ihre Metaphern wörtlich, biß sich daran fest, um das eigentliche Anliegen der Literatin nicht erwähnen zu müssen. Sie verdammte das seelenlose Geschäft, der das Wohl und Wehe der daraus hervorgehenden Kinder egal ist, von Kindern, die ihre Väter niemals sehen werden. Gegen diese fürchterlich reaktionäre Auffassung, daß Kinder ihre Eltern kennen sollten, daß sie nicht Produkt des Machbarkeistwahns sind, das empfindet die Moderne als Affront. Und sie tut es mit Ignoranz, mit bewußtem Nicht-Verstehen-Wollen. Lewitscharoff verwarf die Onanie, nicht weil sie aus irgendwelchen katholisch-reaktionären Motiven dagegen wäre, sondern sie findet sie widerlich, wenn sie Teil dieses Machens ohne Seele ist.

Der SZ-Redakteur Benedikt Sarreiter fragte dennoch naiv, es stelle sich die Frage, „warum sie hier den Begriff Onanie wählt, es hätte ja auch einfach künstliche Befruchtung sein können. Wahrscheinlich um den Ekel vor den „Machinationen“ noch zu steigern. Denn der wahre, der gute, vitale, gottgefällige Sex kann nicht der mit sich allein sein, sondern nur der zwischen Mann und Frau.“ Die Onanie ist nicht nur Teil der Reproduktionsmedizin, sie ist Teil des umfassenderen modernen Projekts der Selbstbestimmung, der Auflösung jeder Ordnung. Das Individuum und sein Wille zur Lust steht über allem. Norman Mailer, der vom „guten Kampf“ spricht, Kant und Rousseau, die die Onanie als Verirrung und Verbrechen verwerfen, erkannten noch, daß die Onanie Egoismus ist, und in extremis zum Zerfall der Persönlichkeit wie der Gesellschaft führen kann, wie wir es heute im Zeitalter der überall greifbaren Pornographie wie im Labor beobachten können.

Es ging Lewitscharoff nicht um das alte Verbot, Samen zu verschwenden, wie Sarreiter unterstellt, sondern um das egoistische, anarchische Moment der Onanie, was sie in der Forderung zuspitzte, sie zu verbieten. Auch die als skandalös empfundene Beschreibung des aus technischer Produktion entstandenen Lebens erscheint nur skandalös, wenn man jeden Sinn für literarische Stilmittel und erst recht den Gesamtzusammenhang ausblendet. Dieses produzierte Leben ist für Lewitscharoff „weniger wert“, wie der SZ-Autor unterstellt, nicht an sich, sondern weil unsere Zeit das Leben zu einem Produkt gemacht hat und vergessen zu haben scheint, was eine hohe Kultur ausmacht - daß das Leben Frucht der Liebe sein soll.

(Bild: Thüringische Landeszeitung)

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