Montag, 4. April 2011

Wutchristen, graue Panther und die Zukunft der Kirche


Allenthalben ist ja momentan vom "Wutbürger" die Rede, oder positiver gewendet vom bürgerschaftlichen Engagement (Heiner Geissler), das sich in der Zerstörung von Schutzzäunen vor Stuttgart 21 oder der Vermöbelung von Polizeibeamten äußert. Diese neue Bewegung ist nur deswegen populär, weil sie sich gegen alles richtet, was dem linksliberalen Establishment gegen den Strich geht. Würde die dreifache Zahl an konservativen Wutbürgern auf die Straße gehen und Transparente hochhalten, wäre das dem Hamburger Nachrichtenmagazin oder der süddeutschen Postille keine Zeile wert. Siehe Theologen- bzw. Professoren-Memorandum contra "Pro-Ecclesia": hie unterschrieben etwas mehr als 311 betagte, unbelehrbar vom Konzilsgeist-Enthusiasmus angekränkelte, im Grunde vom Glauben abgefallene "Theologie"-Professoren und "PastoralreferentInnen", dort waren es mehr als 14.000. In der Mainstream-Presse - (fast) kein Kommentar.

Daß das Wutbürgerliche ein altersloses Phänomen ist, zeigte sich jüngst auch in Bonn. Kregel und frohgemut erklärten rüstige Senioren der Konzilsgeneration, sie hätten zum erstenmal einen Facebook-Account aufgemacht, wüßten jetzt wie man twittere, und auch eine Demonstration hätten sie schon beim Polizeipräsidenten angemeldet. Doch was treibt die Silberhaarigen an (bei allem Respekt vor dem Alter)? Man höre und staune: Daß der Erzbischof von Köln die Gläubigen an das Wesentliche im Leben, die echte Liebe, erinnert hat, und daß sie einen neuen Pfarrer bekommen haben, der den Protestlern aber nicht passt, weil sie gerne mitbestimmt hätten, wen sie da "vorgesetzt" bekommen.

Die Begeisterung der angeblich meinungsbildenden Medien für den Wutbürger würde sofort auf Null sinken, wenn die (wirklich) katholischen Wutbürger deren Redaktionsgebäude angreifen würden, aus Protest gegen polemisch antikirchliche Artikel, die aus jeder kirchenpolitischen Mücke einen Elefanten zu machen versuchen. Aber da das der Katholik nicht tut, wird gnadenlos auf ihn eingedroschen. So wieder einmal, zum hundertausendsten Mal in der jüngsten Ausgabe des Spiegel. Und der Gegenstand der maßlosen Entrüstung gilt dem "Wachhund" der Kirche, dem Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner, der das unglaubliche Verbrechen begangen hat, seine Gläubigen an die Lehre der Kirche zu erinnern. In einem Hirtenbrief "wettere" er, so das Hamburger Magazin, "gegen Sex vor der Ehe". Von wettern kann keine Rede sein. Wer sich den Brief vorurteilslos durchliest, findet nichts von jenem reaktionären Hautgout, den das Magazin unterstellt, vielmehr Sinn für die Probleme unserer Zeit, für die Sehnsucht nach Liebe und erfüllter Sexualität abseits der egoistischen Triebbefriedigung, den uns der Mainstream immer noch vorschreibt. Und den auch die Politik trotz demographischer Katastrophe und sexueller Verwahrlosung der Heranwachsenden durch allzeit verfügbare Internet-Pornographie noch immer nicht als Problem erkannt hat.

Es hat schon etwas Komisches an sich, wenn alternde Demonstranten von der Hamburger Postille als die neuen "Wutchristen" vorgestellt werden. Enthaltsamkeit ist nicht ihr Problem, sondern die Wut über eine "diktatorische Personalentscheidung" des Kölner Erzbischofs! Man höre und staune! Da wird landauf, landab über den Priestermangel geklagt, und ein paar "Wutchristen" empören sich darüber, daß sie überhaupt noch einen Kleriker abkriegen. Und die Hamburger Journaille reibt sich die Hände, daß der Wutbürger-Funke auch auf die Laien-Konzilsgeneration der Sechzig- und Siebzigjährigen überspringt.

Dieses billige Spiel haben gerade die jungen Katholiken längst durchschaut, von denen viele das Gegen-Memorandum unterzeichnet haben. Merke: Auf Kritik, besonders wenn sie berechtigt ist und noch dazu wenn sie von der Kirche kommt, reagieren vor allem die am empfindlichsten, die sonst jeden Rabauken zum Wutbürger und jeden Wichtigtuer zum Wutchristen hochstilisieren.

Und um sich selbst eine (unverzerrte) Meinung davon zu bilden, was Kardinal Meisner wirklich gesagt hat: http://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/dokumente/erzbischof/hirtenworte/jcm_hw_11_fastenzeit.pdf